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Montag, 25. Januar 2021

Gesundheit, Corona und die Kunst

 

Gesundheit, Corona und die Kunst

(ein paar einseitige und allzu kurze Bemerkungen)

 

Ein prägender Faktor in der durch sogenannte Querdenker und einige Impfgegner*innen bis zur Unversöhnlichkeit aufgeheizten Debatte um den richtigen Umgang mit der Corona-Pandemie scheint mir das heute herrschende Verständnis von Gesundheit zu sein. Bevor ich meine Überlegungen dazu formuliere, schlage ich zur Sicherheit einen argumentativen Pflock ein: Gesundheit ist ein hohes und anzustrebendes Gut!

 

Doch ist die Gesundheit in den vergangenen Jahrzehnten ideologisiert, moralisiert und zugleich zu einer quasi-religiösen Angelegenheit aufgeputscht worden.

Die Epoche der großen politischen Ideologien ist zum Glück ebenso zu Ende wie das Zeitalter der weltbeherrschenden Religionen. Doch was bleibt dann übrig? Der Philosoph Hans Blumenberg hat dazu schon vor längerem die These aufgestellt, dass zwar die großen Welterklärungssysteme weggefallen sind, diese aber eine immense Erwartungshaltung und -hoffnung nach „dem Sinn“ des Lebens hinterlassen haben. Diese zu groß gewordene Erwartung steht einem Defizit an akzeptablen Sinnangeboten gegenüber. Wie man damit umgeht, ist eine der großen Herausforderungen der Moderne. Soweit Hans Blumenberg.

In diese Sinn-Lücke hat sich im 21. Jahrhundert die Gesundheit geschlichen. Gesund sein ist plötzlich zu einer Ideologie geworden. Das gesunde Leben verwandelt sich in eine quasi-religiöse Praxis, in der das richtige Essen, die gesunde Bewegung und die Vermeidung der Ernährungsübel zu einer rituellen Askese geformt sind.

Ein mangelndes Gesundheitsbewusstsein zeugt dann von einer moralisch verwerflichen Haltung. Das ist eine relativ neue Idee, die wohl nur in einer Zeit wie der unsrigen entstehen konnte. (Womit nicht unterschlagen werden soll, dass Ernährung heutzutage moralische Implikationen besitzt!)

 

Das besondere an der Gesundheits-Ideologie ist, dass sie sich letztlich nur auf die eigene Person erstreckt und keine gesellschaftliche Utopie entwirft. Sie ist nur quasi-religiös, weil sie die Grundannahme so gut wie aller Religionen, nämlich dass die anderen genau so wichtig sind wie ich selbst – negiert und durch und durch ego-zentrisch ausgerichtet ist. (Die Egozentrik wird nur im engsten Kreis der Familie aufgeweicht oder in heil-beruflichen Zusammenhängen als eine Form von Mission betrieben.)

 

„Ich bin selbst für meine Gesundheit verantwortlich“, lautet das erste Credo des modernen Gesundheitsstrebens.

 

Das ist in dieser Ausschließlichkeit natürlich Quatsch. Meine Gesundheit hängt von sehr vielen Faktoren ab, von denen ich nur einige beeinflussen kann. Und was für meine Fragestellung der Corona-Debatte viel wichtiger ist: Die Gesundheit jedes einzelnen ist auch abhängig von dem Verhalten der anderen in meinem Umfeld. Die Frage etwa, ob Impfen angemessen ist oder nicht, kann nicht nur mit dem Hinweis auf die Wirkung, die die Impfung auf mich haben kann, beantwortet werden. Meine Entscheidung, mich impfen zu lassen oder nicht, hat Auswirkungen auf die Wahrscheinlichkeit, mit der andere sich infizieren werden. Z.B. ist die absolute Zahl der Corona-Infektionen für das Entstehen von Mutationen mitverantwortlich. Also je weniger Infektionen und Krankheitsfälle es gibt (in denen sich das Virus ja erst vermehrt und dabei Kopierfehler herstellt), um so weniger Mutationen können auftreten.

Ich habe als Individuum dann immer noch das Recht selbst abzuwägen, ob ich das Risiko einer Impfung eingehe oder ob meine Gesundheit hier der relevante Wert ist, nach dem ich handle. Ein schwerer Allergiker wird hier ganz unideologisch anders entscheiden müssen als ein relativ gesunder Mensch.

 

Dass es sich beim Gesundheitshype um eine Spielart des kapitalistischen Hyperindividualismus handelt, muss ich wohl kaum mehr betonen. Das liegt auf der Hand.

 

Doch wie spielt hier die Kunst im Zeitalter des späten gesundheitsverliebten Kapitalismus mit?

Mir fallen folgende Aspekte dazu ein:

 

-   für Künstler*innen ist die Kunst ein „Wert“, der mit der Gesundheit um den ersten Platz auf der persönlichen Wertehierarchie konkurriert und zumindest für Zeiten die Gesundheit von diesem ersten Platz verdrängt. Zwar gehört ein gewisser Grad von Gesundheit zum Kunstmachen als Grundbedingung hinzu, aber im Prozess des künstlerischen Schaffens muss die Gesundheit oft zurückstecken. Das heißt, die Gesundheit ist als höchster Wert nicht alternativlos! Es gibt in der Kunstgeschichte viele Beispiele von großen Künstlern, die ihre Gesundheit völlig vernachlässigt haben. Das ist sicher kein vorbildhaftes Verhalten gewesen, aber das schmälert nicht die Kunst, die da entstanden ist.

-   Kunst gewinnt sehr oft Impulse aus Situationen der Krankheit und des Leidens. (Das muss nicht so sein. Manchmal verhindert Krankheit Kunst und manchmal entsteht sie aus einer rundum gesunden Situation.) Aus Sicht der Kunst ist der Wert der Gesundheit also immer relativ. Auch Krankheit kann sehr wertvoll sein!

-   In der Performance Art herrscht ein ganz besonderes Verhältnis zur Gesundheit. Performance-Künstler*innen arbeiten oft direkt mit ihren Körpern, und zwar in einer Weise, die nicht die tollen Fähigkeiten des Körpers hervorhebt, wie das z.B. bei ganz gesunden Artisten der Fall ist, sondern vielmehr die Verletzlichkeit des Körpers betont. Die Performance Art macht die Einsicht, dass Verletzlichkeit, Krankheit und Leiden integrale Bestandteile des Lebens sind, zum Material ihrer Kunst! Insofern ist Performance Art der Gegenentwurf zur Gesundheitsideologie. (Was wiederum nicht ausschließt, dass die Künstler*innen auf einen „guten“ Zustand ihres Körpers achten!) Performancekünstler*innen wissen, dass Menschen immer in einem Bedingungsgefüge leben, das Unerwartetes erlaubt.

 

 

 

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