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Freitag, 24. April 2020

Künstler*in sein im Corona-Kapitalismus


Es wird immer offensichtlicher, dass ein großer Teil der Kunstschaffenden in Deutschland durch die eigentlich üppig ausgestatteten finanziellen Sicherungsnetze, die von den Landesregierungen und der Bundesregierung aufgespannt wurden, durchfallen. Freiberufliche Künstler*innen sind eine der Bevölkerungsgruppen, die durch den shutdown in schwere existenzielle Nöte gedrängt werden. 
 
Es ist an der Zeit, dagegen politisch Druck zu machen und die Politiker wachzurütteln. 
Mich interessiert, wie es überhaupt dazu kommen kann? Was geschieht da gerade? Welches Verständnis von Kunst und Kunstschaffenden herrscht bei den politischen Entscheidungsträgern, der Verwaltung und der Gesellschaft? Einerseits hört man an jeder Ecke, wie wichtig Kunst und Kultur für unser Leben seien, wie sehr es schmerzt, nicht mehr ins Theater, ins Museum oder ins Konzert gehen zu dürfen. Doch andererseits scheint kaum jemand die Gefahr begriffen zu haben, dass die Kulturszene ihren freiberuflichen Unterbau zu verlieren droht und es Jahrzehnte dauern könnte, bis eine ähnlich vitale Szene, wie wir sie zum Glück bislang hatten, wieder entstanden ist.

Ich glaube, dass hier Strukturen offenbar werden, die aus dem Geist des Kapitalismus erwachsen sind und einiges über die Rolle der Kunst in der durchökonomisierten Gesellschaft verraten. 
Freiberufler aus dem kulturellen und künstlerischen Bereich machen nicht erst seit der Corona-Krise die Erfahrung, dass die Steuergesetzgebung und das System der Kranken- und Rentenversicherung mit den wirtschaftlichen Realitäten und der Art und Weise, wie wir zwischen Aufträgen, Geldjobs und der meist unbezahlten Arbeit für die Kunst überleben, wenig zu tun haben. Damit hatte man sich schon fast abgefunden. Doch jetzt geht es ans Eingemachte. 
Durch Corona wird deutlich, dass die Kunstschaffenden als Berufsgruppe im vom Wirtschaftsdenken dominierten Komplex, den man Gesellschaft nennt, weder ernst noch wichtig genommen werden. Kunst ist ein Randphänomen, trotz aller gegenteiliger Beteuerungen aus der Kulturpolitik.
Und es stimmt ja auch. Kunst ist von ihrer Grundidee her für den kapitalistischen Geist ein Randphänomen. Viele Künstler*innen stecken einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit und ihrer Energie in Vorhaben, von denen abzusehen ist, dass sie sich finanziell gesehen nicht lohnen werden. Das kann die Mehrheitsgesellschaft inklusive der Politik bis heute nicht verstehen, bzw.: Das kann von einer grundlegend ökonomisch geprägten Gesellschaft nicht ernst genommen werden. Die Kunst ist kein Teil des ökonomischen Wertschöpfungssystems. Sie gehört in diesem Denken vielmehr zum Bereich des Ehrenamts, des sozialen und gesellschaftlichen Engagements, dessen Bedeutung auch gar nicht geleugnet wird. Aber the real thing ist die Wirtschaft. Da kann Kunst nicht wirklich vorkommen. (Der durch und durch kapitalistische Kunstmarkt ist eine andere Geschichte.) 
Kunst ist im kapitalistischen Kontext einerseits eine Angelegenheit des Prestiges. Wir zeigen unsere Kultiviertheit mit unseren Theater und Museen, den Orchestern und den Kunstpreisen. Doch davon abgesehen ist Kunst nur eine Art billige Ressource, die den kapitalistischen Betrieb im Laufen hält, in dem sie dazu beiträgt, die psychischen Kollateralschäden des Kapitalismus nicht ausufern zu lassen – wohlgemerkt bei den Kunstkonsumenten! Wie es insbesondere den freiberuflichen Künstler*innen geht, ist auf der Ebene gar keine Frage. Hauptsache, das ganze kostet nicht zu viel.
Wie gesagt, wir müssen politisch auf uns aufmerksam machen und angemessene Unterstützung verlangen.
Für die Frage nach dem Künstlersein im Kapitalismus ist ein anderer Aspekt dieser Situation relevant: Kunstschaffende können/müssen erkennen, dass sie tatsächlich „anders“ sind als die meisten Menschen im kapitalistischen System. Wir ordnen unser Leben nach Werten, die außerhalb der Kunst und einiger anderer Nischen bestenfalls im Mittelfeld rangieren. In diesem Sinne stehen wir am Rande der Gesellschaft, die sich wenig Mühe gibt, das Leben von freiberuflichen Künstlern zu verstehen. 
Darin steckt eine Chance, nicht nur für die Künstler*innen, sondern für die Gesellschaft. Wenn wir zeigen, warum wir ein solches Leben führen, können wir damit aufweisen, dass es nichtkapitalistische Wertehierarchien gibt, die gelebt werden können – am besten mit der Unterstützung einer ganzen Gesellschaft, die von Künstler*innen nicht nur unterhalten wird, sondern von ihnen lernen will, was Leben auch noch heißen kann.

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