Je länger die
Corona-Krise, mit ihren Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der
persönlichen Bewegungsfreiheit dauert, um so mehr Ungeduld baut sich
verständlicherweise auf. Bahn bricht sich diese Energie zu einem beträchtlichen
Teil (aber nicht nur!) in Formen, die mich ziemlich beunruhigen: in
Verdächtigungen, Unterstellungen, Anklagen gegen eine wie auch immer geartete
Gruppe von Mächtigen, die die momentane Situation entweder für ihre Zwecke
nutzen oder gar für ihre Zwecke initiiert haben. Verschwörungstheorien scheinen
bis in die ominöse Mitte der Gesellschaft und übrigens auch bis in die
Kunstszene durchgesickert zu sein.
Was passiert da
gerade? Und was genau beunruhigt mich daran so sehr?
Ich will versuchen,
aus meiner Position zu formulieren, wie eine Antwort auf die beiden Fragen
aussehen kann. Meine Position bestimmt sich aus verschiedenen Aspekten. Die
wichtigsten in diesem Zusammenhang sind:
-
meine ziemlich radikale Kritik an dem Geist des Kapitalismus, die sich in den
vergangenen Jahren entwickelt hat. Allerdings geht es mir dabei nicht darum,
eine Gruppe von „Bösen“ zu identifizieren, die an allem schuld ist. Der Geist
des Kapitalismus hat sich aus einer historischen Konstellation entwickelt und zeigt
sich nicht nur in neoliberalen Hirnen!
-
Meine Wertschätzung des Grundgesetzes,
insbesondere der Grundrechtsartikel, mit denen ich mich ebenfalls in den
letzten Jahren intensiv beschäftigt habe und
-
meine Bestrebungen, so etwas wie eine
künstlerische Grundeinstellung für mein Leben zu finden und umzusetzen.
Rechthaben: Ich bin mir darüber bewusst,
dass meine fast schon allergische Reaktion auf die Rechthaber und Besserwisser,
die zur Zeit durch die Medienlandschaft schwirren, auch damit zu tun hat, dass
ich selbst gerne meine Positionen in die Öffentlichkeit sende und gegen das
Virus der Rechthaberei nicht ganz immun bin. Doch immerhin versuche ich,
bestimmte Fallen zu umgehen. Z.B. indem ich im Modus des Vorschlagens und Anbietens rede und nicht in Behauptungen.
Das Muster der medial
verstärkten Besserwisser ist ja nicht, einen Beitrag zu liefern, der helfen
möge, die bestmögliche Strategie im Umgang mit einem Problem zu finden. Es geht
den Rechthabern einzig darum recht zu haben. Dazu gehört meistens auch die
Klage, ihre Meinung würde unterdrückt von „den Medien“, was auch diesmal angesichts
der Präsenz dieser Leute auf allen Kanälen schon ziemlich abstrus wirkt.
Schlimmer aber ist daran, dass man dieses Muster gut aus den Anfangszeiten der
AfD kennt. Die Generation Lucke zeichnete sich dadurch aus, nichts anderes zu
wollen, als recht zu haben und sich als Opfer einer Meinungsdiktatur
darzustellen. Beides wurde von den rechtspopulistischen Nachfolgern in der AfD
dankbar übernommen.
Die Nähe zum
Rechtspopulismus zeigt sich auch in einer bestimmten Wissenschaftskritik. Ich
bin der Meinung, dass die Wissenschaft im kapitalistischen System eine äußerst
problematische Funktion erfüllt, nämlich die Welt so zu formen, dass sie für
die kapitalistische Ausbeutungsmaschinerie vorbereitet ist. Trotzdem ist es
natürlich klug und richtig, in Situationen wie der momentanen, die aktuellen
Erkenntnisse einer Wissenschaft als Richtschnur für das politische Handeln zu
betrachten. Dasselbe wird ja zu Recht in der Klimadebatte vehement und bislang relativ
erfolglos gefordert. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse anzuzweifeln, weil
Wissenschaften per se keine Wahrheiten finden, sondern vorläufige Erkenntnisse
formulieren, die durch die weitere Erforschung revidiert werden können, ist die
ignorante Politik der Klimakrisenleugner.
In der Coronakrise
hat die Politik klüger gehandelt als in der Klimakrise. Sie hat die momentan
bestmöglichen Erkenntnisse zur Grundlage für das politische Handeln gemacht. Die
(pseudo)-wissenschaftliche Kritik an diesem Vorgehen weigert sich, die
gesamtgesellschaftliche Verantwortung der Politik zu beachten.
Eine ganz andere Art
von Kritik kommt aus der Politik und der Gesellschaft selbst. Immerhin hat der
Bundestagspräsident, also der Repräsentant des zweithöchsten Amtes in der Bundesrepublik,
die Verhältnismäßigkeit der Einschränkungen in Frage gestellt, und zwar mit
Rekurs auf das Grundgesetz! Schäuble hat angemerkt, dass es wenn überhaupt nur ein bedingungsloses Grundrecht im GG
gibt, nämlich die Würde des Menschen aus Art.1 GG - und hat damit bezweifelt, dass der Lebensschutz
soweit gehen darf, dass die Würde Schaden nimmt. Unabhängig davon, ob man
diesem Argument zustimmen will, ist diese Debatte von einer ganz anderen Art
als die, die von Wodarg und Co. angezettelt wurde. Die Aufgabe der Politik, wie
aller anderen gesellschaftlichen Kräfte, ist es, die Grundrechte so gegeneinander abzuwägen,
dass keines unter die Räder kommt. An dieser Debatte zum Wohle der ganzen
Gesellschaft war schon die frühe AfD nicht interessiert, sie wollte nur Recht
haben, und es ist für mich sehr beunruhigend zu sehen, wie viele Leute heute
diesem Muster zu folgen bereit sind.
Verschwörung: Die Grenzen zwischen
Rechthabern und Verschwörungstheoretikern sind zwar fließend, aber
Verschwörungstheorien sind in ihrer destruktiven Kraft sehr viel
problematischer. Die Muster, nach denen diese Hirngespinste funktionieren, sind
ja gut erforscht. Rätselhaft bleibt aber, warum so viele Leute diesen Theorien
Glauben schenken.
Meine Vermutung: Der
Erfolg der Verschwörungstheorien ist ein Symptom des allumfassenden Gefühls der
Unverbundenheit des modernen Menschen mit seiner Welt. Das führt zu einem
tiefgreifenden Misstrauen der Welt gegenüber. „Wir wissen ja nicht, was
wirklich vorgeht!“ ist der Glaubenssatz, der hier wirksam wird. Und da ist ja
auch was dran. (Es ist sicher kein Zufall, dass die erste „erfolgreiche“
Verschwörungstheorie rund um die erste Mondlandung 1969 entstanden ist - die in Filmstudios simuliert worden sei. Das war
vielleicht das erste weltweit wahrgenommene Ereignis, bei dem – außerhalb der
NASA – niemand mehr die Möglichkeit hatte, das Erfahrene mit der Realität
abzugleichen. Niemand hat die Astronauten auf dem Mond begrüßt! Heute ist
dieser Realitätsentzug eine alltägliche Erfahrung.) Der kapitalistische Geist
hat mit der Digitalisierung einen weiteren Schub von Weltfremdheit ausgelöst,
in der das Gefühl von Verbundenheit mit der Welt kaum noch von sich aus
auftreten kann. Das Misstrauen, das
durch den fehlenden Bezug zur Welt ins Unermessliche gesteigert wird, öffnet
die Tore für eine Form von Leichtgläubigkeit, die nach Antworten sucht, um
zumindest dieses Misstrauen nicht in Frage stellen zu müssen. Das ist ein
Teufelskreis.
Kunst: Hier kommt die Kunst ins Spiel.
Natürlich sind auch Künstler*innen nicht davor gefeit, Rechthabern und
Verschwörungstheoretikern auf den Leim zu gehen.
Aber Künstler*innen
sind zumindest darin geübt, die Verbundenheit zur Welt herzustellen und/oder
die fehlende Verbundenheit, mit der wir in dieser Welt umgehen müssen, als
solche wahrzunehmen.
Die Unverbundenheit
ist ein allgemeines Phänomen. Sie in sich zu erkennen und den Mut haben, sich
ihr zu stellen, statt in Antworten zu flüchten, die alles noch schlimmer
machen, ist eine Aufgabe, mit der sich Kunstschaffende in der Moderne immer
wieder befasst haben. Wie soll man es aushalten, nicht nur nichts zu wissen,
sondern auch noch den Bezug zur Welt verloren zu haben, der es ermöglicht, Wissen von Nichtwissen zu trennen? Wie kann ich Weltbezug
wieder herstellen? Fragen, auf die als erste Künstler*innen Antworten suchen.