english below and in green
Durch irgendwelche digitalen
Zufälle bin ich in den Verteiler der Zeitschrift ManagerSeminare geraten und bekomme sie einmal mit Jahr gratis
zugeschickt (Heft 243, Juni 2018). Die Zeitschrift wendet sich anscheinend an
Unternehmensberater, Coaches und Fortbildungsabteilungen in Unternehmen. Abgesehen
davon, dass der dort genutzte Business Talk eine schwere Herausforderung für
jeden darstellt, der sich mit den ästhetischen Aspekten von Sprache
beschäftigt, bietet die Lektüre sehr interessante Einsichten in den Geist des
Kapitalismus. Dieses Mal war in dem Heft ein Artikel zu finden, der für unsere
Fragestellung nach den Möglichkeiten von Künstlern, der kapitalistischen Logik
nicht in die Falle zu gehen, einiges an (ernüchterndem) Material liefert.
In dem Artikel mit der
Überschrift „Thesen zum Tomorrow“ (sic!) listet der Autor Harry Gatterer,
seines Zeichens Geschäftsführer eines offenbar auf die Wirtschaft
ausgerichteten „Zukunftsinstituts“, eine Reihe von 14 gesellschaftlichen und
ökonomischen Tendenzen auf, die seiner Ansicht nach die nähere Zukunft
bestimmen und von Unternehmen beachtet werden sollten. In der Liste gibt es ein
paar Überraschungen. Da werden Aspekte aufgeführt, von denen wir (?)/ einige
von uns gedacht und gehofft hatten, dass sie den Kapitalismus eher
zurückdrängen als unterstützen würden. Dieser Artikel ist ein weiteres Indiz
dafür, dass die große und fast immer unterschätzte Stärke des kapitalistischen
Geistes in seiner Fähigkeit besteht, Gegentendenzen und kleine und große
Widerstandsbewegungen zu vereinnahmen und aus ihnen Waren und Märkte zu machen.
Auf ein paar in dem Artikel genannten
Tendenzen will ich etwas genauer eingehen. Eines lautet: Achtsamkeit. Gatterer sieht in der Tendenz, Achtsamkeit ins eigene
Leben zu bringen, eine Gegenbewegung zur „permanenten Reizüberflutung, zur
medial erzeugten Aufregung und zur erzwungenen Steigerung der
Aufmerksamkeitsressourcen“. Dem kann man nur zustimmen. Er glaubt, dass
Achtsamkeit auch im „Businesskontext ein wichtiger Grundwert und eine
Arbeitstrategie“ werde.
Natürlich gibt es auch schon
längst Trainingsangebote für Achtsamkeit für Unternehmen. Und natürlich kann es
niemandem schaden, die Fähigkeit zur Achtsamkeit zu schulen. Denn, so steht es
in dem Artikel: „Sie verhilft zur Stärkung von Klarheit, Stabilität und
Kompetenz“. Mit diesem letzten kleinen Satz wird deutlich, wieso es aus einer
unternehmerischen Sicht sinnvoll erscheinen kann, Achtsamkeit als Wert in den
kapitalistischen Zusammenhang zu integrieren und sie damit zu vereinnahmen. Sie
stärkt nämlich Werte, die dem Unternehmen helfen, erfolgreicher zu sein. Man
muss sich klar machen, dass es hier um Strategien geht, Unternehmenserfolge zu
fördern. Das ist das über allem stehende Ziel des kapitalistischen Geistes. Achtsamkeit,
eine Qualität, die eigentlich aus einem im weiten Sinne religiösen Zusammenhang
stammt, wird zum Mittel der Profitsteigerung.
Ein anderes Zukunftsthema, das
der Autor Gatterer auflistet, trifft mich selbst ziemlich hart, weil es einen
Aspekt aufgreift, mit dem ich mich seit einiger Zeit künstlerisch und sozusagen
kunsthistorisch sehr beschäftige. Bei mir geht es um die Frage, wie wir
Lebensformen finden können, in denen die Gemeinschaftlichkeit von allen
Mitgliedern getragen und zugleich jedes Mitglied in seiner individuellen
Entfaltung unterstützt wird.
Der Sozialismus in seinen
realen Ausprägungen des 20. Jahrhunderts hat die Idee der gerechten
Gemeinschaft auf Kosten der individuellen Freiheit der einzelnen aufbauen
wollen und der Kapitalismus versucht(e), eine Gesellschaft des
Hyperindividualismus zu konstruieren, in der kein Platz mehr für solidarische
Strukturen benötigt wird. Aber gerade unter Künstlern gab es schon sehr früh
Initiativen, um Gemeinschaftlichkeit und Individualität zusammen zu denken und
praktisch zusammenzuführen.
Schon kurz nach dem 1.
Weltkrieg entstanden einige sehr inspirierende Versuche von KünstlerInnen, die
in diese Richtung wiesen. Einer dieser Versuche war die so genannte
Kalltalgemeinschaft, eine Gruppe von meist jungen Künstlerinnen und Künstlern,
die 1919 aus Köln nach Simonskall in der Eifel zogen, um dort gemeinsam zu
leben und ihre Kunst zu machen, und zwar Kunst, die nicht die Naturidylle
feiert, sondern gesellschaftlich relevant sein wollte.
Jetzt lese ich unter der
Begriff Wir-Kultur auf der Liste der
Zukunftstendenzen von Gatterer, dass „sich heute neue Gemeinschaftsstrategien
(entwickeln). Sie entsprechen dem Wunsch nach Individualität,
Selbstverwirklichung und Unterscheidung von der Masse und erlauben dennoch ein
Zugehörigkeitsgefühl.“ Die Notwendigkeit, neue Formen des Zusammenlebens zu
erkunden, scheint also als Tendenz schon in den kapitalistischen Gefilden
angekommen und wahrgenommen worden zu sein. Und damit taucht sofort die Gefahr
auf, dass diese Versuche, noch bevor sie die Praxisreife für die Gesellschaft
gewonnen haben, vom kapitalistischen Denken vereinnahmt und auf ihre
Marktkonformität hin gestaltet werden. Wie lässt sich das verhindern?
In der Liste der Zukunftstendenzen,
die der Autor aufzählt, finden sich zwei, die das ökonomische System des
Kapitalismus selbst betreffen. Unter dem Titel Postwachstumsökonomie schreibt Gatterer: „Die neue Wirtschaft
wächst nicht mehr, sie reift“. Der Primat des Wirtschaftswachstums, einer der
wichtigsten ideologischen Grundpfeiler des kapitalistischen Geistes, soll demnach
seine tragende Funktion für die durchökonomisierte Welt verlieren. Zu schön, um
wahr zu sein?
Außerdem wird unter Slow Business eines der infantilen
Ideale des kapitalistischen Geistes (Max Scheler) in Frage gestellt, nämlich
der Primat der Schnelligkeit. Es gibt ja verschiedene soziale Bewegungen, die
sich gegen den kapitalistischen Zwang zur Schnelligkeit zur Wehr setzen wollen.
Slow Food war eine der ersten. Nun soll plötzlich nicht mehr Schnelligkeit,
sondern die Entschleunigung das Maß der Dinge im Unternehmenskontext sein.
Gute Nachrichten, sollte man
meinen!
Jedenfalls Thesen, aus denen
verschiedene Folgerungen gezogen werden können: Eine wäre, das Konzept des
kapitalistischen Geistes, das ich hier in meinem Blog vertrete, als überholt
und falsch zu deklarieren. Das ist eine Möglichkeit, die ich nicht außer Acht
lassen will.
Eine andere bestände darin zu
behaupten, dass der Kapitalismus sich selbst nicht ganz kennt und die
vermuteten Tendenzen für das ökonomische System ganz anders wirken werden als
Gatterer annimmt. So ist die Entschleunigung ja schon längst zu einem Markt
geworden, der von Unternehmen beliefert, geprägt und gestaltet wird. Und wie
immer sind die Unternehmen erfolgreich, die am schnellsten die passenden
Angebote auf den Markt gebracht haben. Die Schnelligkeit bleibt also das
kapitalistische Ideal.
Eine dritte Folgerung setzt
eine Ebene tiefer an. Sie besteht in der Vermutung, dass der Kapitalismus als
Konzept nicht wie eine politische Ideologie, wie etwa der Marxismus oder auch
der Neoliberalismus, funktioniert. Ideologien haben (grob gesagt) die
Angewohnheit, die Welt durch die Brille des eigenen Welt-Konzeptes zu
betrachten und sie entsprechend zu interpretieren. Auftauchende Widersprüche
weisen allenfalls darauf hin, dass die Ideologie nicht verstanden ist, bzw. an
einigen Details nachgebessert werden muss. Doch dass die Welt den eigenen
Vorstellungen nicht entspricht, gehört nicht zu den bedenkenswerten Optionen.
Der kapitalistische Geist ist da offener. Er erkennt Widersprüche an und
schafft damit die Grundvoraussetzung dafür, die entsprechenden Tendenzen und
Bewegungen auf mittlere Sicht für sich zu vereinnahmen. Die Entwicklungen der
Postwachstumsökonomie und der Entschleunigung sind in diesem Denken keine
Gefahren für den Kapitalismus, sondern potenzielle Märkte. In der
kapitalistischen Variante der Postwachstumsökonomie wird deshalb aller Wahrscheinlichkeit
nach das Wachstum als Maßstab nicht seine Bedeutung verlieren, wie Gatterer
vermutet, sondern diejenigen Unternehmen werden wachsen, die bestimmte Werte
aus den Bereichen Lebensqualität und Umweltschutz am überzeugendsten an die
Frau und den Mann bringen. Das gleiche gilt für die Entschleunigung. Auf den
Ebenen, auf denen es marktfördernd ist, kann der kapitalistische Geist seine
Grundgedanken zur Seite schieben. Doch dadurch wird seine Dominanz nicht
geschwächt, sondern gestärkt. Der kapitalistische Geist wird solche Bewegungen
unterstützen, solange Geld damit zu machen ist. Aber die Struktur der
kapitalistischen Logik wird dadurch nicht erschüttert.
Ich glaube, das ist ein sehr
wichtiger Punkt. Mit Max Scheler könnte man sagen, dass der Kapitalismus ein
Wertesystem darstellt, in dem die Hierarchie der Werte ganz anders ist als in
anderen Systemen. Die Ethik des
Kapitalismus besitzt eine Flexibilität, die beängstigend ist. Sie ist in
gewisser Weise „jenseits von gut und böse“, solange sich aus den
gesellschaftlichen Entwicklungen Kapital schlagen lässt.
Was hat das alles mit der Frage
nach dem Künstler sein im Kapitalismus zu tun? Sofern KünstlerInnen einen
inneren Abstand zum kapitalistischen Geist aufbauen und aufrecht erhalten
wollen, müssen wir uns der Gefahr sehr bewusst sein, dass unsere Gegenentwürfe
vom Kapitalismus vereinnahmt werden, statt ihn in die Schranken zu weisen. Wie
können wir das verhindern?
1.
Ich weiß es nicht.
2.
Durch genaues Denken! Denn die kapitalistische Vereinnahmung
bedeutet zugleich immer eine Verfälschung dessen, was vereinnahmt wird. Die
Verfälschung geschieht durch den Wechsel des ethischen Kontextes. Unsere
Aufgabe als Künstler besteht darin, die eigenen Ideen und Gedanken so genau wie
möglich zu kontextualisieren, mit anderen Worten, einen konzeptuellen Rahmen zu
entwerfen, der nicht der kapitalistischen Logik folgt. Deshalb:
3.
Wir können versuchen, eine eigene,
nichtkapitalistische Ethik zu entwerfen, um der Vereinnahmnungsmaschinerie
etwas entgegensetzen zu können.
Viel zu
tun.....
Künstlerinnen
und Künstler scheinen mir die einzige Gruppe zu sein, die diese Aufgabe
gegenwärtig angehen und vielleicht bewältigen kann, weil sich unter ihnen am
ehesten Leute finden lassen, die auch insgeheim auf die Annehmlichkeiten und
Sicherheiten eines kapitalistischen Daseins verzichten – zugunsten des eigenen
künstlerischen Weges. Auch Künstler kennen die Verlockungen des Kapitalismus,
aber wir nehmen sie nicht so ernst. Es gibt wichtigeres für uns.
Somehow
I got into the mailing list of a german magazine called ManagerSeminars and
more or less once a year I get a free copy of it. This magazine addresses
consultants and coaches for companies and beside the fact that their language
is a challenge for everybody who has some interest in the aesthetic aspects of
writing reading this magazine brings some insights into the current form of the
capitalist spirit. This time there was one article that delivers some
(sobering) material for our question how artists can live and act without
falling into the traps of capitalist logic.
The
author Harry Gatterer, director of a „future institute“, presents a list of 14
social and economic tendencies which in his view will have an effect on the
future and should be noticed by companies. This list contains some surprises.
There are some issues in it from which we(?)/some of us had thought and hoped,
that they rather will help to push back capitalism instead of supporting it. I
think that this article shows once again that the very strength of capitalism,
that is underestimated most of the time, is its potential of taking over and
colonize counter tendencies and resistance movements and to form products and
markets out of it.
Now I
would like to discuss some of the tendencies mentioned by H. Gatterer. One is mindfulness.
Gatterer sees a new focus on mindfulness in our society and a strong wish to
include it into daily life. For him this is a counter movement against the
„permanent stimulus satiation, the medial generated excitement and the forced
rise of resources for attention“. Who wouldn´t agree? He claims that
mindfulness will become a core value and a new working strategy in business
contexts.
Of course
there are already offers for business training in mindfulness. And of course
there is no harm for anybody in practising mindfulness. Because, quoting the
article: „It helps to strengthen clarity, stability and competence.“ This little
sentence shows why it is helpful from a company point of view to integrate
mindfulness into the capitalist context. It improves values and qualities that
help the company to become more successful! And this is the purpose of the
capitalist spirit above all others. Mindfulness, a quality emerging from the religious
field, becomes a mean to seek profit.
Another
subject that is listed by the author hits me personally quite strong because it
brings up an aspect that I am exploring for some time now in an artistic and
historical form. I pose the question how it might be possible to find forms of
living in which the togetherness is carried by every member and at the same
time the individual development is supported by the community.
Socialism
in its real occurrences of the 20th century tried to build up an equal and just
society at expense of the individual freedom. Capitalism tries to construct a
society of hyper individualism that lacks any space for solidarity. But
especially artists looked very early for initiatives to think and live
togetherness and individuality at the same time. (One was the so called
Kalltalgemeinschaft, a group of artists who left Köln in 1919 to live and work
together in the Eifel aiming for art that has social relevance.)
Now I
read on this list with future tendencies under the title „culture of WE“ that
there are new strategies developing that correspond with the wish for
individuality, self development and still allows a feeling of belonging. The
need for new forms of living together has seemingly entered the capitalist
sphere and with this the danger arises that these attempts (of artists and
others) will be taken over by the capitalistic world and thinking and will be
formed into conformity for the markets. How can we prevent this?
There
are two subjects in the list of future tendencies that are related directly to
the economic system of capitalism. Under Post growth economy Gatterer writes:
„The new economy doesn´t grow, it will ripen.“ The primacy of economic growth
is one of the most important ideologic keystones of the capitalist spirit. But
now it will lose ist function for the economized world? To good to be true?
Even
one of the infantile ideals of capitalism (Max Scheler) is questioned through
one of the future tendencies that Gatterer has listed. Slow Business is a movement that works against the pressure to be
fast all the time. Slow Food was one of the first of these initiatives. Now in
business contexts deceleration shall be the new goal that substitutes
acceleration. Good news, one should think...
Anyhow
these are assertions which allows different conclusions. One could be to
declare the idea of the capitalist spirit that I support here in my blog as
wrong and/or outdated. This is a possibility that I try to keep in mind.
Another
conclusion is to claim that capitalism doesn´t know itself well enough and that
the tendencies Gatterer listed will have other effects on the economic system
that he assumes. Deceleration for instance already is a market for quite a lot
of companies. And those companies are most successful that bring their products
on the market fster than the others. Speed keeps to be an capitalist ideal.
A third
conclusion starts on a deeper level. Here I guess that capitalism is not
working like a political ideology, like marxism or neoliberalism. Ideologies
have (roughly speaking) the habit to see the world through the glasses of their
own world concept and to interprete the „facts“ only in this way.
Contradictions only show a lack of understanding the ideology or where to improve
some details of it. Capitalism is more open at that point. The capitalist
spirit recognizes contradictions and in doing so creates the possibility to
colonize these movements in the long run. Then post growth economy and
deceleration are no dangers for capitalism but potential markets. Capitalism
will support these movements as long as there is money in it. But the structure
of the capitalist spirit or logic will not be changing through these
tendencies.
I think
this is important. With Max Scheler we can say that capitalism is a system of
values that has a very different hierarchy of these values that all other
social systems. The ethics of capitalism possess a flexibility that can be
frightening. In some way it is „beyond good and evil“, as long as the system
can capitalize on social movements and developments.
What is
the connection between these considerations and the question of how to be an
artist in capitalism? As long as artist want to build and keep a distance to
the capitalist spirit, we have to be aware of the big danger that our attempts
and alternative concepts can be colonized by capitalism. How can we prevent
this?
1. I don´t know.
2. With precise thinking! Everything that is
taken over by capitalism is at the same time distorted. Distortion happens here
through a change of the ethical contexts. Our task (?) as artists is to
contextualize as precise as possible. In other words, we have to create a
conceptual frame that doesn´t follow the logic of capitalism.
3. We
can try to develop a non-capitalist ethical system that is clear and strong
enough for not to be colonized by capitalism.
There is a lot to do..
Artist seems to be the only group of people
who might be able to start with this project and fulfill it in the current
social and political situation. There is a big chance to find artists who are
willing and able to abstain from the conveniences and securities of a
capitalistic life because there artistic work is much more important. Of
course even artists know the temptations of capitalism, but we don´t take them
too serious.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen