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Samstag, 4. November 2017

Kapitalismus und das Grundgesetz/capitalism and constitution


english below in green 
Bei der Lektüre eines Buches des unfassbar jungen Philosophen Markus Gabriel (Ich ist nicht Gehirn, Berlin 2015) ist mir eine wichtige inhaltliche Brücke zwischen den beiden Feldern aufgegangen, mit denen ich mich seit einiger Zeit intensiv beschäftige: dem Kapitalismus als Lebensform und dem Grundgesetz.

In der Auseinandersetzung mit Artikel 1 des GG („Die Würde des Menschen ist unantastbar. (...)“) bemerkt Gabriel, das der Satz auch ganz buchstäblich verstanden werden kann. Man kann die Menschenwürde nicht antasten, weil sie kein Ding ist. Die Würde erwächst aus bestimmten Bedingungen, die zum Menschsein dazugehören. Die heute in der Philosophie weitgehend dominierende Haltung des Materialismus behauptet aber, dass man alle weltlichen Phänomene auf Dinge oder Dinghaftes zurückführen kann. Dagegen argumentiert Gabriel vehement und wie ich finde mit gutem Recht.

Dabei zitiert er Kant, der die Unterscheidung zwischen Preis und Wert bzw. Würde eingeführt hat. Kurz gesagt hat für Kant alles, was Würde besitzen kann, keinen „Marktpreis“, weil es nicht als Mittel für einen anderen Zweck verwendet werden kann. Die Würde ist Zweck an sich. (Kant, Metaphysik der Sitten)

Was im Materialismus Ding genannt wird, ist im Kapitalismus die Ware. Wie wir bei Scheler schon gesehen haben (vgl. meinen Vortrag!), ist ein Grundmerkmal des kapitalistischen Geistes der Warencharakter aller Dinge. Heute ist die Verwandlung aller Lebensaspekte zur Ware sehr weit fortgeschritten. Fast alles kann zur Ware degradiert und im kapitalistischen Karussell zu Geld gemacht werden. Um aber zur Ware zu werden, muss etwas zuerst ein Ding sein. Die Wissenschaften bzw. der philosophische Materialismus tragen zur Entwertung der Welt bei und flankieren so die Entzauberung dieser Welt und die Verdinglichung aller Phänomene, die in ihr auffindbar sind.
Die Menschenwürde aber ist keine Ware. Implizit erkennt Kant bereits, dass sich bestimmte Werte und die Menschenwürde gegen eine Vereinnahmung durch die kapitalistische Logik wehren. Die Würde des Menschen hochzuhalten als unantastbares und unverkäufliches Recht bedeutet demnach auch, sich vom kapitalistischen Geist zu distanzieren. Oder umgekehrt: Die Distanzierung vom Geist des Kapitalismus als alle Lebensform beherrschen wollender Ethos macht uns zu Verteidigern des Artikel 1 des Grundgesetzes.


Das ist ein quasi künstlerischer Akt, zumindest wenn man – wie ich – davon ausgeht, dass die innere Distanzierung vom Geist des Kapitalismus überhaupt erst den Raum für künstlerisches Agieren eröffnet. Das jedenfalls war ein Ergebnis meiner Auseinandersetzung mit den Gedanken von Max Scheler (die man hier im Blog unter anderem in den Vortragsvideos findet).

Reading a book of the very young german philosopher Markus Gabriel, I noticed a link between two subjects I am workking on since quite a while: the spirit of capitalism and the german constitution.

Quoting the art. 1 of the constitution that in german says „The dignity of men is not to be touched (=unvaluable)“ Gabriel mentions that this is true in a very basic sense. You can´t touch dignity because it is not a thing. Dignity emerges out of a set of conditions that belong to humanity. The today very dominant philosophical idea of materialism claims that all worldly phenomenons can be reduced to things, i.e. a material based fundament. Gabriel argues with good reasons against this view.
He quotes Kant and his distinction between price (or costs) and value. Kant claims that everything that has dignity cannot have a price (on a market) because it can´t be used as a means for another purpose. Dignity is a purpose in itself.
What materialism calls thing is called product in capitalism. In capitalism everything has the quality of being a product that can be sold and bought. Today the transformation of nearly all aspects of life is developped very far. Nearly everything can be transformed into a product and can be involved into the circus of money making. But what should become a product has to be a thing first. Science helps to make the world to a thing and to get rid of values.

Dignity is not a product. Kant implicitly sees here already that certain values and dignity of men try to resist against the dominance of capitalistic logic. To defend the dignity of men as a right that can´t be sold means also to keep the distance to capitalistic thinking. Or: Keeping the distance to the logic of capitalism as the ethos that dominates our form of life means defending article 1 of the german constitution.

This is an somewhat artistic action, at least if you think (as I do) that the space for artistic activity opens up only through the search for an inner distance to capitalistic logic. This was one of the results of my work with the ideas of Max Scheler (that you can find here in this blog and on my video lectures (partly in english).


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